Hintergrundinterview mit Felix Stalder von Krystian Woznicki, Berliner Gazette.
1. Commons ist in gesellschaftspolitischen Debatten in aller Munde: Von “collaborative commons” (J.Rifkin) bis hin zu “atmospheric commons” (N.Klein). Wie schätzt Du die aktuelle Konjunktur ein? Worauf führst Du sie zurück? Welche Positionen hältst Du für wegweisend?
Das Interesse an den Commons nährt sich aus zwei Quellen. Zum einen aus der tiefen Krise der kapitalistischen Ordnung, die sich nicht nur in der Finanzkrise, sondern vor allem in der Umweltkrise manifestiert. Hier werden sehr fundamentale Konstruktionsmängel deutlich, etwa, dass die „Umwelt“ als Externalität betrachtet wird, aus der man Rohstoffe entnehmen kann, oder in die man Abfall entsorgen kann, ohne dass dies ins ökonomische Kalkül einbezogen werden muss. Dieses Problem kann auch ein „grüner Kapitalismus“ nicht lösen, denn Kapitalismus braucht solche Externalitäten, ohne diese hört er auf, Kapitalismus, das heiß ein System welches auf das Ziel der Kapitalanhäufung – und eben nicht andere – ausgerichtet ist, zu sein. Das ist kein neuer Gedanke, Karl Polyani hat den bereits in den 1940er Jahren sehr klar formuliert, aber heute sind die Folgen dieses Problem in Gestalt der Umweltkrise mehr als deutlich sichtbar und es ist schwer vorstellbar, wie der Kapitalismus, trotz aller Innovationsfähigkeit, dieses Problem angehen kann.
Es ist also eine Leerstelle in der sozialen Imagination entstanden und auf diese wird nun das Konzept der Commons, als eine holistische Organisationsweise projiziert, die auch an alter-moderne Entwicklungslinien in vielen verschiedenen Kulturen anzuknüpfen scheint. So würde ich etwa Naomi Klein’s Verwendung verstehen.
Gleichzeitig ist mit dem Internet eine Infrastruktur entstanden, die es möglich macht konkrete Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, welche die Praxis der Commons neu beleben und die demonstrieren, dass es auch außerhalb des Kapitalismus möglich ist, komplexe wertvolle Güter zu entwickeln, die aber nicht als zu verkaufende Waren, sondern als Gemeingüter existieren. Seit knapp 20 Jahren findet ein großes soziales Experiment statt, dass den Commons Ansatz auf immer neue Klassen von informationellen Gütern (Software, Wissen, Daten etc) ausdehnt. Wir beobachten gerade, dass dieser auf dem Internet praktisch erprobte Ansatz den Sprung zurück in Organisation physischer Infrastrukturen macht, etwa in der Bewegung der Commons Gärten oder den Versuchen der Re-Kommunialisierung der Energieversorgung. Das ist die Perspektive, aus der etwa Jeremy Rifkin spricht.
2. Wie steht die Konjunktur der Commons-Idee im Verhältnis zu deren Umsetzung? Sehen wir in letzter Zeit mehr Bewusstsein und mehr demokratische Strukturen für Commons aufkommen? Wenn ja, welcher Akteur ist die treibende Kraft?
Es gibt im Moment extrem viele Experimente, die die Commons mal direkter, mal indirekter, als Referenzpunkt nehmen und dabei auch andere gemeinschaftliche Organisationsformen, Genossenschaften, Mutualismus etc erneuern. Die meisten dieser Experimente sind aber entweder relativ klein, regional oder sektoral isoliert. Das macht sie in Summe recht schwach und sie kämpfen überall mit einem Umfeld, das ihnen das Leben schwer macht, denn es ist nicht darauf ausgerichtet, solche Produktionsweisen zu unterstützen, sondern vielmehr auf den Markt hin optimiert ist.
Was fehlt die Verbindung zwischen diesen einzelnen Inseln, die aber nur so die Kraft erlangen können, um die Spielregeln, in denen sie agieren, in ihrem Sinne zu beeinflussen und so ihre Ausgangslage relativ zu marktförmigen Mechanismen zu verbessern. Dazu wird ein verändertes Bewusstsein allein nicht ausreichen, denn die Spielregeln zu verändern heißt, Auseinandersetzungen gegen jene zu gewinnen, die von den aktuellen Spielregeln profitieren. Das wird nicht ohne Kampf gehen, denn auch wenn es sich nicht um ein einfaches Nullsummenspiel handelt, werden nicht alle gewinnen.
3. Die Rolle der sozialen Bewegungen: Bei “Slow Politics” haben wir gefragt “Was verbindet all die unterschiedlichen Bürger-Bewegungen, die in letzter Zeit entstanden sind?” Neben einem allgemeinen Ruf nach “realer Demokratie” war der stärkste gemeinsame Nenner die Commons-Forderung, ob nun in Bezug auf Finanz-Algorithmen, Storm-Netze oder Big Data. Kannst Du in den sozialen Bewegungen eine Konjunktur der Commons ausmachen? Welche interessanten Ausprägungen der Commons-Kultur siehst du in den sozialen Bewegungen?
Die sozialen Bewegungen verbindet die gemeinsame Erfahrung einer umfassenden Systemkrise, nicht nur wirtschaftlicher sondern auch politischer und ökologischer Natur. Diese Dinge werden zunehmend miteinander verbunden. Mit Syriza haben die sozialen Bewegungen die erste Kraft an die Regierung gehievt, die zumindest das wirtschaftliche und das politische wieder direkt miteinander verbindet. Für alle, die in den letzten 30 Jahren den Slogan „Es gibt keine Alternative“, der so mühelos von Thatcher zu Merkel gewandert ist, verinnerlicht haben, ist dies eine enorme Irritation. Diese mag auch den Hass mit erklären, der Syriza auch von Kreisen entgegen schlägt, die nicht unbedingt direkt von der Fortsetzung der Austeritätspolitik profitieren.
Die Erfahrung der multiplen, miteinander verkoppelten Krise nährt das Interesse an einem grundsätzlichen Wechsel. Es ist die selbe Erfahrung die auch zeigt, dass das einfache Rückdrehen des Rades, im Sinne von „Mehr Staat, weniger Privat“, keine Option ist. Also machen sich die sozialen Bewegungen auf, konkrete Alternativen zu entwickeln, aber auch, sie setzen an, zumindest an einigen Stellen, ins politische System der Parteien, Wahlen und Parlamente einzusteigen.
Sie machen sich damit zu historischen Akteuren in der Erneuerung der Demokratie. Die klassischen Institutionen der repräsentativen Demokratie wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr ausgehöhlt. Sie verkommen zur Show und zur Verwaltung von als alternativlos dargestellten Zuständen. Die Entwicklung geht klar in Richtung Postdemokratie. Dem gegenüber stehen die sozialen Bewegungen und der Begriff der Commons für eine Ausweitung und Neudefinition von Demokratie, das heißt, von Entscheidungsmöglichkeiten über die Ausrichtung des Systems selbst, und nicht nur Auswahl von bereits vorgefertigten Optionen.
4. Die Konjunktur der Commons-Idee fällt zeitlich in eine Konjunktur von angrenzenden/verwandten/untergeordneten Ideen zusammen, zum Beispiel Solidarität und Kooperation/Kollaboration. Welche Verbindungslinien siehst Du?
Die Konjunktur der Commons ist eingebettet in eine tiefgreifende, komplexe und widersprüchliche Transformation der Subjektivität, das heißt, der Art und Weise, wie Menschen sich selbst und ihre Beziehung zur Umwelt, also zu anderen Menschen, Lebewesen und Gegenständen, erleben und entwerfen. Der Imperativ der Zeit heißt „Vernetze dich!“ und auch wenn er zumeist in der verkrüppelten Form von Facebook und anderen kommerziellen sozialen Massenmedien erlebt wird, so vermittelt er doch immer noch, dass es keinen Sinn macht, sich selbst in Isolation zu denken, sondern dass das relationale – die „Gemeinschaft“ oder das „Netzwerk“ – die zentrale Referenzgröße darstellt. Ohne diese macht die eigene „Individualisierung“ keinen Sinn, denn es braucht immer die Anderen, die diese Individualisierungsleistung lesen und schätzen können. Damit entsteht eine neue Verbindung zwischen Individualität und Gemeinschaft, die nicht mehr als Gegensätze gedacht, sondern in ihrer gegenseitigen Bedingungen, in ihrer Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit erlebt werden.
5. Eine Sonderrolle nimmt in diesem Zusammenhang “Sharing” bzw.”Teilen” ein. Einerseits wichtiger für die Commons-Idee als die meisten anderen Parallel-Phänomene, andererseits im Zuge einer Vereinnahmung durch Massenmedien und Silicon Valley inzwischen in ein dystopisches Licht getaucht. Wie schätzt du den aktuellen Stand von “Sharing”-Kulturen a) für sich genommen und b) für die Commons ein?
Was Gefahren angeht: Siehst Du, mit Blick auf Sharing-Kulturen, vergleichbare Gefahren für die Commons-Idee? Vielleicht das Commons als Modewort Karriere macht, aber keine politische Realität nachwächst? Oder andere Gefahren, die Du siehst?
Sharing ist ein problematischer Begriff. Zum einen verweist er auf eine grundsätzlich andere Beziehung zwischen Subjekten als jene des Austausch, des Kaufs und Verkaufs. Damit macht er sehr viel auf, ein Handeln jenseits von Markt und Staat. Zum anderen löst er Begriff Sharing dieses Handeln auch aus dem Kontext, aus der politischen Perspektive, die mit dem umfassenderen Begriff der Commons verbunden wäre. Dadurch eignet er sich sehr gut, als „feel good Begriff“, Dinge zu beschönigen und die Realität zu verschleiern. Wenn etwa Facebook sagt, dass seine Daten mit anderen „teilt“, dann ist das nichts anderes als ein Euphemismus dafür, dass es diese verkauft. Oder die gehypte „Sharing Economy“, die ist im Grunde nichts anderes, als granuläres Vermieten. Das kann mal traditioneller organisiert sein, etwas beim Carsharing, bei dem Autohersteller mit Autovermietern kooperieren, oder mal prekarisierter, etwa beim vermieten des Gästezimmer in der eignen Wohnung, des eigenen Autos, der eigenen Werkzeuge etc. Im einen Fall kann man von einen normalen Innovationsschritt sprechen, der Märkte effizienter macht, im zweiten Fall geht es klar um die Umgehung von sozial und Konsumendschutzstandards. Hier muss man sehr genau hinschauen, dass sich nicht ein Plattformkapitalismus entwickelt, der nur dem 1%tern dient.
6. Ob Commons als Ressource oder System – sie sind nicht einfach so da für alle. Sie sind weder gegeben noch zugesichert. Sie müssen im gesellschaftlichen Dialog bestimmt, eingehegt und bewirtschaftet werden. Welche zentralen Herausforderungen siehst Du künftig auf uns zukommen, was a) die Bestimmung der Commons b) die Einhegung der Commons und Herausbildung eines dritten Systems und c) die Bewirtschaftung der Commons durch BürgerInnen angeht.
Ich denke, es geht um drei Dinge. Erstens, die Fortsetzung und Erweiterungen der vielen sozialen Experimente, die hier stattfinden. Sie sind Labore der Graswurzelinnovation. Zweitens, der Kampf gegen die Subversion der Idee der Commons und des Teilens durch die problematischen Dynamiken der „Sharing Economy“ und drittens, um den Umbau des regulativen Umfelds in dem sowohl Commons- als auch Markt-orientierte Akteure handeln. Im Moment ist dieses klar im Sinne der letzteren ausgerichtet. Hier geht um die Neuausrichtung von Anreizen und Einschränkungen. Wie kann man langfristiges, nachhaltiges Handeln besser fördern, so dass es eine Chance hat, in der Konkurrenz mit kurzfristigen, die Kosten externalisierendem Handeln zu bestehen? Wie bei der Biolandwirtschaft – man setzt auf ein verändertes Bewusstsein und die Bereitschaft, einen höheren Preis zu zahlen – wird es nicht gehen. Sonst bleibt das eine privilegierte Nische. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir das System verändern können, dass umwelts- und sozial-schädliches Handeln treuerer wird, als umwelt- und sozial-freundliches.